Benjamín Labatut: Lebenslauf, Bücher und Rezensionen bei LovelyBooks (2024)

In seinem Roman Maniac fängt Benjamín Labatut die Leben und Leistungen der großen Denker Paul Ehrenfeld, János von Neumann und Demis Hassadis ein, wobei nicht nur ihre Ideen und Werke, die sie für immer überdauern sollten, Beachtung finden, sondern auch ihre teils Leid geplagte Psyche, Eigenheiten, sowie persönliche Umtriebe beleuchtet werden. Und genau wie der Roman entwickelt sich in dessen Verlauf auch das künstliche Leben weiter.


Paul Ehrenfeld seines Zeichens theoretischer Physiker und Freund von Einstein, berühmt in seiner Zeit für seine anschaulichen Erklärungen und geschätzt für seine Vermittlungsgabe, findet sich durch den Einzug der Quantenmechanik und der damit einhergehenden Mathematisierung der Physik nicht mehr in seinem Fachgebiet zurecht und wird manisch-depressiv mit nur kurzen Glücksmomenten mit einer Affäre, die von seiner Frau geduldet wird, bis er sich selbst und seinen am Downsyndrom leidenden Sohn erschießt.

János Lajos später John von Neumann war ein intelligentes Kind, das mathematische Konzepte schneller als jeder andere verstehen, auf ihr Wesentliches reduzieren und anschaulich erklären kann, sowie komplexe Probleme innerhalb von Minuten zu lösen vermag. Der Mann, der später als Vater des Computers berühmt werden sollte, schließt zuerst auf Geheiß seines Vaters ein Studium der Chemie ab, während er gleichzeitig seinem eigentlichen Interessengebiet, der axiomatischen Mengenlehre an der Universität in Göttingen bei David Hilbert nachgeht, an der er schließlich auch seine Doktorarbeit schreibt. Neumanns weiteres Werken war geprägt von der derzeitig vorherrschenden Grundsatzkrise der Mathematik, die durch Paradoxien erschüttert auf ihr Grundlegendes zurückgeführt werden sollte, um ihre Theorien zu festigen. Während Cantor die Vielfachheit der Unendlichkeiten entdeckte und daran den Verstand verlor, erarbeiteten Bertrand Russel und Alfred North Whitehead an der Principia Mathematica, dem Versuch die gesamte Mathematik auf logische Stützen zu stellen, und scheiterten nach dem sie 762 Seiten damit verbracht hatten zu beweisen, dass eins plus eins gleich zwei sei. Angetrieben durch Hilbert sollte nun auch János von Neumann sich diesem Versuch widmen, bis Kurt Gödel mit seinen Unvollständigkeitssätzen darlegte, dass jeder etwaige Versuch in diese Richtung scheitern müsste.
Als dann die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht kamen wanderte Neumann nach Amerika aus, wo er zusammen mit anderen Größen der Wissenschaft, wie Niels Bohr oder Robert Oppenheimer, als freier Berater am Manhattan-Projekt, Amerikas Versuch den Nationalsozialisten bei der Entwicklung der Atombombe vorwegzukommen, tätig war. Dort hatten es ihm vor allem die Rechenmaschinen von IBM angetan.
Zusammen mit Oskar Morgenstern entwickelte von Neumann daraufhin die 700 Seiten starke Spieltheorie, die nicht nur in der Wirtschaft anklang fand, sondern auch vom Militär aufgegriffen wurde um Kriegsszenarien „durchzuspielen“. John, das Gegenteil eines Pazifisten, schlug kurz vor Beginn des Kalten Krieges vor, einen atomaren Erstschlag, als Abschreckungsmaßnahme gegen Russland durchzuführen, wobei am Ende die USA als absolute Macht dastehen sollte. Die MAD-Doktrin (Mutually Assured Destruction – gegenseitig versicherte Zerstörung) und somit der Kalte Krieg wurde somit teils auch aus von Neumanns Spieltheorie geboren. Später erschuf von Neumann etwas weniger Theoretisches doch nicht weniger Bedeutsames. Unter dem Namen MANIAC verbirgt sich der erste programmierbare Universalrechner der Welt, kurz führ Mathematical Analyzer, Numerical Integrator and Computer. Dieser sollte als Vorlage für jeden späteren Computer dienen. Und wieder wurde von Neumanns Arbeit militärisch, die Wissenschaftler aus Los Alamo, die inzwischen nicht mehr and der Atom-, sondern der Wasserstoffbombe forschten, stellten eine simple Frage: Kann eine solche Bombe gebaut werden. Von Neumann überführte die Frage in Berechnungen und gab sie dem MANIAC, der nach Monaten eine Antwort lieferte: Ja! Daraufhin begann der Bau und als die Bombe fertig war und getestet wurde, sagte Roosevelt dazu: Wir haben kein Interessen an vollständiger Zerstörung, dies ist das Gegenteil von Frieden. Denn die neu erfundene Wasserstoffbombe, der sich selbst Oppenheimer, der als Vater der Atombombe gilt, mit all seiner Kraft in den Weg gestellt, hatte die 500-fache Sprengkraft der Atombombe. Der MANIAC wurde ein zentraler Bestandteil in von Neumanns Leben. Neben dem Versuch das Wetter numerisch vorherzusagen und als Waffe nutzbar zu machen, stellte Neumann auch inspiriert von Nils Aall Barricellis Bemühungen künstliches Leben im Computer zu schaffen, eigene Theorien dazu und zu selbstreplizierenden Automaten auf. Doch auch John von Neumann blieb von seiner Arbeit am Atomprogramm nicht unverschont und der Krebs breitete sich in seinem Körper aus. Während er sich nun fast manisch in seine Arbeit stürzte, bis er dazu nicht mehr in der Lage war. Bis zuletzt glaubte er daran, dass sich in einem Computer künstliches Leben entwickeln könnte und so eine neue Form von Intelligenz heranwächst.

Demis Hassabis in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen begeisterte sich früh für Schach, bis er mit dreizehn gegen den derzeitig amtierenden dänischen Großmeister antrat und verlor. Ab da widmete er sich seiner anderen Leidenschaft; dem Denken, oder vielmehr dem künstlichen Denken. Mit fünfzehn schloss er sein Abitur ab, studierte, nachdem er ein Jahr lang als Spieleprogrammierer angestellt war, in Cambridge Informatik und widmete sich auch danach der Spieleentwicklung, bis er meinte genug informatische Fähigkeiten gesammelt zu haben, dass er schließlich Kognitive Neurowissenschaften in London studierte, um dort seinen Doktor zu machen. Als Hassabis dabei auf von Neumanns Ausführungen über den Computer und das Gehirn, sowie selbstreplizierende Automaten stieß, war es sein Zeil zusammen mit Shane Legg und Mustafa Suleymann unter dem Namen DeepMind künstliche Intelligenz zu schaffen. Als der Mitgründer von Facebook und PayPal Peter Thiel als Geldgeber gewonnen war, überschlugen sich die Angebote, bis Google das Start-up für 650 Millionen Dollar übernahm. Starten wollten die Gründer mit Go. Diese Spiel, das oft als Pendant zu Schacht betrachtet wird und doch sehr viel komplexer ist und von dem man geglaubt hatte, ihm wäre nur mit Intuition und mit Instinkt beizukommen. Und doch gelang es DeepMind mit AlphaGo den amtierenden Europameister in fünf von fünf Partien zu besiegen. Doch da hörte das Team um Hassabis nicht auf, mit der Hilfe des geschlagenen Europameisters verbesserten sie AlphaGo weiter, und ließen die KI gegen den Südkoreaner Lee Sedol, Besitzer des 9. Dans der höchsten Stufe des Go, antreten. In vier von fünf Partien gewann AlphaGo gegen Lee und stellte dabei Züge und Strategien auf, die bisher niemand je in der Geschichte des zweieinhalb tausend Jahre alten Spiels gesehen hat. Nachdem DeepMinds AlphaGo sich unter dem Namen Master online einen Ruf gemacht hat und einen weiteren Großmeister in drei von drei Partien geschlagen hat, veränderte DeepMind die Strategie. Aus dem Netzwerk der KI wurden alle existierenden von Menschen gespielten Go-Spiele entfernt, die vormals als Basis Datenbank der KI fungierten, sodass sie sich das Spiel und mögliche Strategien selbst erarbeiten musste. Das so entstandene Konstrukt, genannt AlphaZero schlug AlphaGo in 100 von 100 Partien im Go, erlernte Schach in acht Stunden auf dem Niveau eines Großmeisters und Shogi, ein etwas komplexeres japanisches Äquivalent zu Schach innerhalb von weniger als 12 Stunden auf einem Level, dass AlphaZero das stärkste bis dahin bestehende Programm Elmo in 90% der Spiele schlug.

Der Roman zeigt die Entwicklung der künstlichen Intelligenz durch die Zeitalter auf, indem der Leser miterlebt, wie die mathematischen Grundlagen geschaffen werden, der erste Computer gebaut wird, die Theorie einer anderen Intelligenz, nebst der des Menschen entsteht und schließlich sich ein Programm, von selbst entwickelt und den Menschen in einem Gebiet vom Thron der Intelligent stößt. Die beschriebenen Geschehnisse regen zum Nachdenken an und zeigen auf, wie viel auch unseres aktuellen Lebens auf den Entdeckungen so weniger kluger Köpfe basiert. Man stellt sich unweigerlich die Frage, was die Zukunft bringt und welchen Gebieten, die sich auf dem Vormarsch befindlich künstliche Intelligenz noch ausweitet und in welchen sie es vermag den Menschen zu übertreffen.

Wer von uns würde nicht gern den Schleier lüften, unter dem die Zukunft verborgen liegt, um einen Blick zu werfen auf die bevorstehenden Fortschritte unsrer Wissenschaft und in die Geheimnisse ihrer Entwickelung während der künftigen Jahrhunderte! – David Hilbert

Benjamín Labatut liefert interessante Hintergründe zu großen Themen und doch fehlt es dem Roman ein wenig an Struktur. Auch wenn als Motiv die Entwicklung der künstlichen Intelligenz durch die Zeit, und die Menschen die daran beteiligt waren zu erkenn ist, erweckt die Erzählweise teils den Eindruck schlichtweg möglichst viel über vergangene Denker aufzuzeigen, ohne dass ein Zusammenhang erkenntlich wäre. So steigt der Roman mit dem Leben Paul Ehrenfelds ein, der hier nur als Verkörperung des Irrationalen im Genie aufgeführt wird und nichts mit dem eigentlichen Roman Motiv zu tun hat.


Neben interessanten Themen, großen Fragen und einer Fülle an Details, weißt der Roman leider eine Schwäche in der Erzählweise und -Struktur auf.

Von mir gibt es 3 von 5 Punkten

Buchinformationen
Erschienen: 24.09.2023
Verlag: Suhrkamp
ISBN: 978-3-518-43117-7
Taschenbuch
Seiten: 395
Sprache: Deutsch

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Author: Moshe Kshlerin

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Name: Moshe Kshlerin

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